Rückblick 102. Schweizer Immobiliengespräch
«Zinsen runter, alles gut?». Unter diesem Titel diskutierte die Immobilienbranche zum zweiten Mal in Bern, und diesmal nicht nur mit sich selbst. Auf der Bühne auch vertreten: Die Schweizer Nationalbank.
Mehr denn je drehen sich die Gespräche in der Immobilienbranche um die Zinspolitik der Notenbank. Aber wie wäre es mit einem Rollenwechsel, fragten sich die Veranstalter der Schweizer Immobiliengespräche. Statt immer nur über die SNB zu sprechen – warum nicht mit ihr? So geschehen dann beim 102. Ausgabe des Immobilien-Talks, der in Bern stattfand. Dort stand Robert Bichsel auf der Bühne, im Direktorium der SNB zuständig für das Bankensystem und Finanzmarktstabilität. Wer auch nur den kleinsten Hinweis zu den nächsten Zinsentscheiden erwartet hatte, wurde – naturgemäss – enttäuscht. Die Aufmerksamkeit der Branche nutzte Bichsel vielmehr, um ins Grundsätzliche zu gehen. Und auch darin lag eine Botschaft.
Der Grund, warum sich die Notenbank überhaupt mit dem Immobilienmarkt befasst, ist die Stabilität des Finanzsystems. Mehr als zwei Drittel der letzten 50 systemischen Bankenkrisen waren Folge davon, dass Immobilienblasen platzten. Die Kosten, eine Krise am Wohnungsmarkt zu bereinigen, können ins Gigantische gehen. Bichsel hatte zwei Graphiken mitgebracht, die nebeneinander stehend Eindruck machen: Die eine Kurve mit den langfristigen Zinsen der Schweizer Staatsanleihen zeigte nach unten, die andere mit der Hypothekenverschuldung im Vergleich zum BIP steil in die Höhe. Mit einem kleinen Haken freilich, der dem Zinsanstieg der letzten Jahre geschuldet war. Besorgniserregend auch die Preisindizes für Schweizer Wohnimmobilien. Die ragen ähnlich steil nach oben, das Preisplus im Vergleich zum Jahr von 2008 liegt bei ungefähr 60%.

«Gewisse Fragilität»
Wie blickt nun die SNB auf diese Zahlen? Sie fragt, wieviel sich davon anhand ökonomischer harter Fakten gut erklären lässt. Bichsel gibt den Unsicherheitsbereich bei der Preisentwicklung derzeit mit bis zu 30% an – Anlass genug, von einer «gewissen Fragilität» im System zu sprechen. Es brauche nur einen Schock, zum Beispiel eine Rezession, dann sei eine «sehr substanzielle Korrektur» nicht ausgeschlossen. Dramatisch ist die Lage gleichwohl nicht, betonte der SNB-Direktor. Die Banken sind nach Einschätzung der Notenbank derzeit stabil unterwegs und haben den Schweizer Wohnungsboom mit viel Disziplin finanziert.
Zwei weitere Dinge liess Bichsel anklingen. Erstens: Indizien für einen Credit Crunch sieht die SNB derzeit nicht. Zweitens: Die Niedrigzinswelt ist nicht gottgegeben. Es gibt in der Historie reichlich Beispiele, wo Währungshüter überraschend forsch die Zinsen hoben. Bichsel empfiehlt: Man sollte in der Lage sein, einen überraschenden Zinsanstieg zu absorbieren. «Solche Schocks können passieren», betonte Bichsel in der Panel-Diskussion. Und sie können ein Stück weit auch von aussen kommen, ohne Zutun der heimischen Notenbank.
«Doppelter Airbag»
Eine gute Ergänzung zu diesem Blick von hoher Warte auf das Thema war der Blick auf einen einzelnen Akteur. Roman Bürki, Leiter Immobilien bei der PK der Technischen Verbände, liess sich in die Karten schauen und zeigte detailliert, an wievielen Stellen das Zinsniveau Einfluss auf die Kalkulationen und die Renditen nimmt. Nicht, dass Bürki steigende Zinsen aus PK-Sicht als kategorisch nachteilig dargestellt hätte. Aber zu den eindrucksvollen Rechenbeispielen, die er präsentierte, gehörte die Bewertungskalkulation für eine Bestandsimmobilie. Ein Anstieg des Diskontierungssatzes von 0,64 Prozentpunkten über zehn Jahre bedeutet dort nämlich, dass die Miete im selben Zeitraum um 39% Prozent steigen muss – wenn denn der Wert der Liegenschaft nicht schrumpfen soll. Und wenn das eben nicht von höheren Mieten ausgeglichen wird, müssten die Betriebskosten auf illusorische null Franken sinken. Durch Reduktion des Leerstands kann der Wertverfall im fraglichen Beispiel nicht vollständig ausgeglichen werden. Wer vorher noch nicht verstanden hatte, warum der Immobilienmarkt steigende Zinsen nicht besonders schätzt, der verstand es nach dem Vortrag Bürkis. Dem Vertreter eines Investors wohlgemerkt, der Liegenschaften und Projekte ohne Kredit finanziert. Der also, um es mit den Worten von Moderator Björn Zern zu sagen, mit doppeltem Airbag unterwegs ist – mit 100 % EK und mit einem Bewertungspuffer, der den vorigen Zinsanstieg schadlos überstand.
»Druck im Kessel»
Der Bewertungspuffer kam auch bei Stefan Fahrländer zur Sprache. Der Gründer des Beratungsunternehmens FPRE beleuchtete in seinem Vortrag unter anderem den Fakt, dass die Bücher der Schweizer Immobiliengesellschaften den letzten Zinsanstiegs mit nur geringen Abwertungen weggesteckt haben. Nur kleinen Entwicklern und denen, die vor kurzem eingekauft hatten, konnte der Zinsanstieg Schwierigkeiten machen. In einer anderen Hinsicht haben die etwas höheren Zinsen sogar für Entlastung gesorgt – der höhere Referenzzinssatz nahm etwas Druck von den Mietern und damit von der Politik. Aber Zinswende hin oder her – die Gemengelage auf dem Schweizer Wohnungsmarkt ist aus Sicht des Raumplaners Fahrländer weit entfernt von dem Prädikat «alles gut». Der Druck im Kessel, die Wohnungsknappheit, steigt, und die Wohnungen können nicht dort entstehen, wo sie am dringlichsten gebraucht werden. Die ehrliche und nachfragegerechte Lösung aus Sicht des Experten – neue Bauzonen in den Ballungsgebieten mit sehr hoher Dichte und Auszonungen um ein Vielfaches dieser Fläche an den Peripherien – dürfte politisch schwierig umzusetzen sein.
«Verhärtete Fronten»
An dem Vortragsabend war es wiederholt die soziale und die politische Perspektive, die das Gesamtbild trübte. So auch bei der Präsentation von Lukas Golder. Laut dem Co-Leiter des Berner Politikforschungsinstituts GFS hat die Sorge vor hohen Wohnkosten heute in der Bevölkerung einen Stellenwert, der fast schon mit der Angst vor Arbeitslosigkeit in früheren Zeiten vergleichbar ist. Und einher damit geht eine zweite wichtige Beobachtung Golders: Die Fronten zwischen Mietern und Vermieter sind verhärtet, es besteht ein tiefes Misstrauen gegen die Immobilienbranche insgesamt. Der Kommunikationsexperte warnt: In den Ballungsräumen könnte der Konflikte medial weiter eskalieren, die erfolgte Zinswende sei vor diesem Hintergrund allenfalls «bittersüss». Golder sieht das Vertrauen in den Markt insgesamt gefährdet.
Wichtig also ist der Dialog, und wichtig ist, dass die Immobilienwirtschaft Augenkontakt hält zum Grossen Ganzen, in das sie eingebettet ist. Und das scheint am Veranstaltungsort Bern besonders gut zu gelingen. Da trifft es sich gut, dass die Bundesstadt einen dauerhaften Platz im Kalender der Immobiliengespräche bekommt. Das kündigten die beiden Initiatoren der Berner Gesprächsreihe an, Harald Zeindl für die Galledia Fachmedien und Boris Szélpal von der Berner Fachhochschule.