«Tiefschürfende Diskussion statt Hektik»
Resümee vom 61. Immobilien-Gespräch: «Wohnraum für Flüchtlinge - Immobilienwirtschaftliche Antworten»

«Die Lage ändert sich von Tag zu Tag, wie sie sich mittelfristig entwickelt, ist zurzeit nicht absehbar» EJPD
Die Lage ist ernst, aber nicht kritisch. So zumindest die Kurzform eines Communiqués des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements (EJPD) von Mitte November. Die Schweiz verzeichnet zwar ansteigende, hohe Eingänge von Asylgesuchen – seit Anfang November kommen pro Tag 250 Flüchtlinge an -, aber noch sind Bund und Kantone überzeugt, die Herausforderungen meistern zu können. Allerdings: Die Betonung liegt auf «noch», denn in seiner Mitteilungen weist das EJPD auch darauf hin, dass verlässliche Prognosen über den Zustrom von Flüchtlingen unmöglich sind: «Die Lage ändert sich von Tag zu Tag, wie sie sich mittelfristig entwickelt, ist zurzeit nicht absehbar».
Höchste Zeit also, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Denn eines ist klar: Die eintreffenden Massen müssen angemessen untergebracht werden. So hatte das 61. Schweizer Immobilien-Gespräch von IMMOBILIEN Business das Thema: Wohnraum für Flüchtlinge. Drei illustre Referenten waren eingeladen, dem Publikum ihr Wissen und ihre Meinung darzulegen:
- Ernst Hauri vom Bundesamt für Wohnungswesen
- Martin Neff, Chefökonom der Raiffeisen-Gruppe Schweiz
- Thomas Zinnöcker, Vizepräsident der Vonovia SE und Stellvertretender Vorstandsvorsitzender des ZIA Zentraler Immobilien Ausschuss.*
Deutschland hat Erfahrung mit der Massenzuwanderung. Als in den 1990er-Jahren Spätaussiedler eintrafen, trat für sie ein Wohnortzuweisungsgesetz in Kraft – nicht zuletzt aus Sorge vor der Segregation. Mit diesem Gesetz habe das Land gute Erfahrungen gemacht, schilderte Thomas Zinnöcker, stellvertretender Vorstandsvorsitzender von Deutschlands führendem Wohnungsunternehmen Vonovia SE. «Heute, 20 Jahre später, wohnen 70 Prozent der Zuwanderer immer noch an diesen zugewiesenen Orten und sind zufrieden.» Allerdings sei das Gesetz inzwischen nicht mehr in Kraft – und heute stehe man vor einer weitaus grösseren Herausforderung. Die Immobilienwirtschaft habe keine Lösung, könne aber zu einer beitragen, betonte Zinnöcker. Die Wohnumstände der Zugezogenen sollten sich parallel zur Aufenthaltsdauer und dem Status ändern – von vorübergehenden Notunterkünften bis zur dauerhaften Unterbringung. Flexible, pragmatische Lösungen sind gefragt, die Immobilienindustrie wolle sich daran beteiligen. Von «Trittbrettfahrern», also Immobilienbesitzern, welche die Notlage ausnützen möchten, müsse sich die Branche klar distanzieren. Es gebe in Deutschland zwar 1,7 Millionen leere Wohnungen – doch seien diese in der Regel nicht auf die Zielgruppe ausgerichtet. Die Frage von preisgünstigem Wohnraum werde sich mit einer neuen Dringlichkeit stellen, sagte Zinnöcker. Zu den wichtigsten Aufgaben zählt aus seiner Sicht der bedarfsgerechte Neubau sowie die Frage, ob mit Blick auf den besonders dringend benötigten günstigem Wohnraum nicht bauverteuernde Regulatorien überdacht sowie Vorschriften bei kostspieligen Massnahmen für die Energieeffizienz gelockert werden sollten. Enteignungsmassnahmen zur Wohnraumbeschaffung, wie sie in den deutschen Stadtstaaten Hamburg und Bremen angedacht worden seien, sind Zinnöcker zufolge abzulehnen. Der Flüchtlingsstrom sei eine Herausforderung, aber mit Blick auf die demografische Entwicklung auch als eine Chance für sein Land, sagte Zinnöcker und plädierte für mittel- bis langfristige Lösungen. Dafür sei ein runder Tisch aller Beteiligten Voraussetzung.
Impressionen vom 61. Immobiliengespräch