Rückblick 78. Schweizer Immobiliengespräch: «Was heisst hier nachhaltig?»

Auf den Immobilienmärkten hat sich der Begriff Nachhaltigkeit weitgehend etabliert. Verschiedene Experten beleuchteten am jüngsten Schweizer Immobiliengespräch im Zürcher Restaurant Metropol Anfang November Theorie, Praxis und neueste Entwicklungen zu diesem Thema.

Rund 80 Teilnehmer kamen zum jüngsten Schweizer Immobiliengespräch ins Zürcher Metropol, um über die aktuellen Nachhaltigkeitsbestrebungen der Branche zu diskutieren (Bild: Mathias Rinka)

Dr. Christian Kraft, Dozent und Projektleiter Immobilien sowie Co-Leiter des MScRE-Studiengangs an der Hochschule Luzern, leitete das 78. Schweizer Immobiliengespräch mit einem Rückblick auf die Geschichte ein und erinnerte an die einstige Bedeutung des Wortes «Nachhaltigkeit». Es wurde von Hans Carl von Carlowitz in seinem 1713 publizierten Werk «Sylvicultura Oeconomica» im Angesicht einer drohenden Rohstoffkrise als Prinzip in der Forstwirtschaft definiert – und im Lauf der Zeit dann zunehmend auch in anderen Bereichen gebräuchlich.

In der globalen Immobilienbranche wird der Begriff erst seit der Jahrtausendwende verstärkt verwendet: Nachhaltigkeitszertifikate wie BREEAM (Building Research Establishment Environmental Assessment Method; UK seit 1990) LEED (Leadership in Energy and Environmental Design, USA seit 1998) oder DGNB (Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen; gegründet 2007) sind mittlerweile etabliert. In der Schweiz gibt es seit 2010 den Verein SGNI Schweizer Gesellschaft für Nachhaltige Immobilienwirtschaft, welcher ein Zertifizierungssystem auf Basis der DGNB-Kriterien anbietet. Die erste SIA-Norm für ein Nachhaltigkeitsrating datiert unterdessen bereits aus dem Jahr 2004.

Nachhaltigkeit im Spektrum zwischen Können und Wollen

Darüber hinaus verwies Kraft auf die besondere Bedeutung der Immobilienwirtschaft, wenn es um Energieeinsparmöglichkeiten geht – schliesslich verursache der heutige Gebäudebestand gut ein Drittel des gesamten Endenergieverbrauchs und 40 Prozent aller aktuellen CO2-Emissionen. Ein besonderer Hebel bei der Einsparung von Energie im Gebäudebetrieb werde heutzutage der Sanierung von Altliegenschaften zugewiesen, so Kraft. Bei Sanierungsmassnahmen würden hier z.B. alte fossil betriebene Heizungssysteme erneuert oder, wenn möglich, durch neue Systeme mit erneuerbaren Energien ersetzt.

Gemäss einer Studie der Hochschule Luzern gibt es in der Schweiz jedoch ein Stadt-Land-Gefälle sowie eine auffallende Diskrepanz zwischen Wohneigentum und Mietwohnraum. Nahezu zwei Drittel der Um- und Neubauinvestitionen fliessen laut Kraft in schlecht oder nur mittelmässig mit dem ÖV angeschlossene Standorte. «Wir bekommen die erneuerbaren Energie nicht in die Städte», erklärte Kraft am Immobiliengespräch und verwies auf die Ergebnisse einer Untersuchung der Baubewilligungen in den Jahren 2009 bis 2018: Hier zeigte sich bei der Verteilung von Sanierungsmassnahmen, dass der Hauptteil der Investitionen in die Aussen- bzw. Innendämmung floss– und nur ein deutlich kleinerer Teil in eine neue und nachhaltige Energieproduktion.

Bei privatem Wohneigentum in ländlichen Regionen werde hingegen der Einsatz erneuerbarer Energien deutlich höher gewichtet. Bei der Innenverdichtung in den Städten, wie zum Beispiel bei der Aufstockung oder dem Neubau von Mietshäusern, seien «grüne Aspekte» hingegen viel schwieriger umzusetzen. «Am meisten wird hier der nachhaltige Ansatz noch von Wohnbaugenossenschaften gewählt», berichtete Kraft. Sein Fazit: Pro Jahr werden rund 18 Milliarden Schweizer Franken in werterhaltende und wertvermehrende Massnahmen in den Gebäudebestand der Schweiz getätigt. «Erneuerungsinvestitionen sollten zielgerichtet, langfristig und mit Augenmass eingesetzt werden.» Allein das Argument der Nachhaltigkeit reiche nicht aus. Es müsse am Ende beim Nutzer der Immobilie auch mit einer Komfortverbesserung einhergehen und die langfristige Wirtschaftlichkeit für Eigentümer gewährleistet sein, so Kraft am 78. Schweizer Immobiliengespräch.

Die Überprüfung «grüner» Portfolios und Fonds

Marie Seiler und Miriam Gellert von PwC Real Estate Advisory Switzerland zeigten auf, wie weit inzwischen europäische Regulierung und Standards in der Finanzbranche Nachhaltigkeitskriterien im Immobilienportfoliobestand einfordern. Die EU will mit ihrem Aktionsplan einen wesentlichen Teil ihrer Klima- und Energieziele über nachhaltige Kapitalflüsse regeln und erreichen. Vieles hiervon betreffe direkt die Immobilienbranche und den Liegenschaftenbestand. Ob und wie flächendeckend die Schweiz diese Regulierung umsetzt, ist noch unklar. Aber allein schon die Anwendung dieser Standards im angrenzenden EU-Ausland sowie die Selbstregulierung der Branche und die Ratingagenturen werden einen starken Druck auch auf Schweizer Akteure zur Folge haben. Gerade langfristig orientierte Investoren, wie etwa Versicherungen und Pensionskassen, müssen zunehmend auf die ESG-Kriterien (ESG steht für «environmental, social and corporate governance») achten, um das Risiko im Portfolio zu minimieren. Beispielsweise soll die Neuauflage der Verordnung BVV2 verlangen, dass Pensionskassen nur noch in nachhaltige Anlagen investieren. Ist aber der Immobilienbestand der PKs bereits heute nachhaltig? Und falls nicht, welche Investitionen wird es in naher Zukunft brauchen, um dies zu erreichen?

Wichtig beim Begriff Nachhaltigkeit in der Immobilienwirtschaft sei es, so Seiler und Gellert am Immobiliengespräch, dass dieser «grüne Anstrich» bei den Gebäuden nicht zum blossen «green-washing» verkomme, wie es heute oft der Fall sei. Einzelne Aspekte der Nachhaltigkeit würden hervorgehoben und als Marketing genutzt, ohne ein einheitliches Bild über die Nachhaltigkeit der Anlagen abgegeben und deren Wirkung aufgezeigt wird. Auf kurz oder lang gelte es, alle Portfoliodaten den Anlegern jederzeit strukturiert und transparent verfügbar zu machen. Dies betreffe vor allem die immer detaillierter werdenden Offenlegungspflichten. Aber auch externe Überprüfungen, etwa durch Ratingagenturen oder brancheneigene Initiativen, wie etwa das GRESB-Rating. Dieses alternative Bewertungssystem misst aus sieben unterschiedlichen Aspekten die Nachhaltigkeitsperformance, den sogenannten GRESB Score, von Immobilienunternehmen und Immobilienfonds.

Weitere wichtige Aspekte im Zusammenhang mit nachhaltigen Liegenschaften seien die Daten. So könnten etwa die Gebäudeenergieausweise der Kantone, kurz: GEAK, oder das parallele System der Energy Performance Certificates (EPC) auf EU-Ebene zur Bestandsaufnahme  helfen. «Immobilieneigentümer sollten hinsichtlich nachhaltiger Immobilienportfolios jetzt das Momentum nutzen, Standards implementieren, sich für die Zukunft rüsten und die weiteren regulatorischen Entwicklungen ganz genau beobachten», so Seiler abschliessend.

Immobilien-Management «mit gutem Menschenverstand»

Marc Derron, Chief Construction Officer bei der Pensimo Management AG, führte am Immobiliengespräch aus, dass sich die verschiedenen Anlagestiftungen der Pensimo Gruppe zur Nachhaltigkeit in allen Dimensionen bekennen, bezeichnete sie aber auch als «grosse Herausforderung». Die Pensimo orientiere sich jedoch nur am Rande an Labels, Zertifikaten und Ratings, so Derron. «Entstehen da nicht riesige Ratingmonster, die keiner versteht und nicht durchschaut?», fragte er. Die Pensimo lege jedoch auch Wert auf eine nachhaltige Bewirtschaftung im bestehenden Portfolio. Man stehe mit den Anlegern in engem Austausch und wolle hinsichtlich Nachhaltigkeit zunächst einfach «sehr viel mit gutem Menschenverstand» erreichen. Positive Erfahrungen habe man in den Wohnquartieren mit «Siedlungscoaches», einer neuen und erweiterten Form der Hauswart-Services, gemacht.

Als eine der für die Zukunft angepeilten Massnahmen nannte Derron zudem die CO2-Reduktion als Hauptziel. Hier habe man einen eigenen CO2-Absenkpfad eingerichtet und will diesen nach selbst definierten Vorgaben beschreiten. Dieser orientiere sich an der Energiestrategie 2050 des Bundes und wolle diesen unterschreiten. Zudem habe die Pensimo Gruppe für alle Liegenschaften eine Analyse zur Nachhaltigkeitsperformance in Form von GEAKs in Auftrag gegeben.

Eine 2017 durchgeführte Befragung der Bewohner in den rund 15.000 Pensimo-Wohnungen habe ergeben, dass bei den Mietern ein starkes Interesse an nicht-fossilen Energieträgern bestehe. Energetische und technische Sanierungen würden angegangen, wenn es bei der Einzelimmobilie in den Zyklus passe. «Lieber eine fossilfreie Heizung als ein perfekt gedämmtes Haus», so Derrons Motto. Klar sei aber auch: «Wir wollen die Lebensdauer der einmal installierten Technik ausschöpfen.» Einbauten von modernster Technik in kurzen Intervallen seien hingegen kontraproduktiv.

Die soziale Dimension der Nachhaltigkeit

Eva Gerber, Geschäftsleitungsmitglied der Kontextplan AG mit Standorten in Zürich, Bern und Solothurn, zeigte danach mit Beispielen aus der Gemeinde-, Stadt- und Regionalentwicklung, dass Nachhaltigkeit verschiedene Dimensionen besitzt und vor allem auch als gesellschaftliche Haltung zu verstehen sei. Beim Planen und Bauen sollte nicht allein auf die ökologische Nachhaltigkeit geachtet werden, sondern ebenso auf soziale Aspekte, wie etwa Durchmischung, Zusammenhalt und Gestaltungsspielräume für Quartiersbewohner, oder integrale Entwicklungen. Dies bedeute bei Immobilienprojekten, möglichst alle Betroffenen zu beteiligen und nicht nur die Abklärung im Investorenkreise zu leisten. Gerber warb dafür, Nachhaltigkeit als Prozess zu begreifen, der andauert und nie abgeschlossen werden kann. Die einzige nachhaltige Lösung gebe es nicht. Jedes Projekt, jedes Quartier und jede Stadt seien anders und individuell zu betrachten.

Sie formulierte fünf Ansätze, die es für eine nachhaltige Arealentwicklung brauche: (1) Massnahmen müssen immer zugleich als Stadt- und als Quartiersentwicklung begriffen werden, (2) Baukultur sei als Gemeinschaftsaufgabe zu verstehen, (3) Lebendigkeit müsse auf und in den Arealen zugelassen werden und «Möglichkeitsräume» schaffen, (4) Begegnungen von Menschen sollten aktiv ermöglicht und (5) Nutzerbedürfnisse erkannt werden, zum Beispiel mittels Sozialraumanalysen. «Eine soziale Nachhaltigkeit ist nicht mit Checklisten und Monitorings allein zu erzielen», so Gerber. Wichtig sei es darüber hinaus, dass Räume auch jederzeit anpassungsfähig blieben, vor allem hinsichtlich allfällig veränderter Bedürfnisse.

  • Das kommende 79. Schweizer Immobiliengespräch zum Thema «Digitalisierung in der Immobilienbranche» wird am 17. März 2020 stattfinden. Weitere Informationen hierzu und die Referenten finden Sie zeitnah unter www.immobiliengespraeche.ch.

 

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