Rückblick 87. Schweizer Immobiliengespräch

Keine Frage, das Umfeld für die Immobilienwirtschaft ist anspruchsvoller geworden. Dem trug das 87. Schweizer Immobiliengespräch mit dem Titel „Projektentwicklung in wirtschaftlich schwierigen Zeiten“ Rechnung. Wer aber einen Krisen-Talk erwartet hatte, wurde enttäuscht.

„Wir haben wohl einen Nerv getroffen“, folgerte Moderator Markus Schmidiger von der Hochschule Luzern, als er den Blick durch den Saal des Zürcher „Metropol“ wandern liess. Der war bis auf den letzten Platz besetzt, die 87. Ausgabe des Schweizer Immobiliengesprächs restlos ausverkauft. Wie sie nun aussieht, oder aussehen soll, die „Projektentwicklung in wirtschaftlich schwierigen Zeiten“ – das fragen sich in diesen Tagen offensichtlich viele. Wobei zunächst einmal zu klären war, ob und inwiefern die Zeiten wirklich schwierig sind. Das übernahm Fredy Hasenmaile, Head of Real Estate Economics bei der Credit Suisse. Sein multiperspektivischer Blick auf die aktuelle Gemengelage im Immobilienwesen ergab ein buntes, ein interessantes, kein monochromes Bild.

„Mietpreiswachstum ist die neue Währung“

Einer der Takeways von Hasenmailes Vortrag: Der gebannte Blick auf die Zinsen zeigt nur die halbe Wahrheit. Wobei der CS-Ökonom freilich nicht viel Hoffnung machen wollte, dass es mit den Zinsen bald wieder abwärts geht – zu lange haben die Notenbanken irrtümlich geglaubt, die Inflation werde sich als temporärer Effekt entpuppen. Hartnäckig sei die Inflation, und „dynamisch ansteckend“. Die Schweiz stehe zwar geldpolitisch besser da als die USA und die EU, doch bekanntlich könne die SNB nicht ihr eigenes Süppchen kochen. Die Zinsen gehen vorerst also nicht zurück, und ja, hohe Zinsen sind laut Hasenmaile „Gift für Immobilien“. Dessen Wirkung auf die Bewertung hat er berechnet: Steigen die Diskontierungssätze von 3 auf 4 Prozent, führt dies zu einem Bewertungs-Rückschlag um 22 Prozent – wobei der Effekt umso stärker ist, je niedriger das Ausgangsniveau des Diskontierungssatzes ist.

Doch auf dem Immobilienmarkt geht es – zum Glück – nicht nur um Zinsen. Dass sie jetzt steigen, hat auch etwas Gutes, denn dadurch wird der Immobilienwirtschaft ihr eigentlicher Auftrag in Erinnerung gerufen: die Wertschöpfung durch die Immobilie selbst. Und dafür sind die Bedingungen nicht schlecht: An den Vermietungsmärkten läuft es in vielen Bereichen gut, etwa auf dem Büromarkt, wo zentrale Flächen gefragt bleiben, auch bei Logistik und auf dem Wohnungsmarkt. „Mietpreiswachstum ist die neue Währung“, sagt Hasenmaile, denn sie könne Zins-Effekte kompensieren. Seine wichtigste Botschaft: Aus Analysten-Sicht gibt es keinen Grund, die Entwicklung von Immobilien fortan sein zu lassen. Ganz im Gegenteil: Die Entwickler sind es, die für die Wertschöpfung mehr als alle anderen zuständig sind. Auf ihnen ruht die Hoffnung des Markts.

Stoischer Blick auf Sustainability und Langfristigkeit

Direkt angesprochen fühlen durften sich Hasenmailes Nachredner, und beide machten nicht den Eindruck, sich von der raueren See entmutigen zu lassen. Marc Lyon, Head Real Estate Development CH, Implenia Schweiz, räumte zwar ein, dass die Geschäfte in den letzten Monaten „komplexer“ geworden seien, richte ansonsten sein Augenmerk aber auf die Chancen. Er zeigte viele sinnvolle Massnahmen und Strategien auf, die man geneigt sein könnte, jedem Entwickler zu empfehlen – auch in krisenlosen Zeiten. Insbesondere ging es um Markttests, um Nutzerbefragungen, die der Projektentwicklung der Implenia helfen, Kundenbedürfnisse zu antizipieren – so geschehen z.B. beim Projekt „Baar Süd“, wo man ausserhalb der Wohnungen separate Büro-Dependancen mit Toilette und Lavabo konzipiert hat, die in Zeiten des Homeoffice eine Trennung von Wohn- und Arbeitssphäre gestattet, oder beim Winterthurer Projekt „Rocket“, dem nach Fertigstellung höchsten Holz-Wohnhaus der Welt, wo man die hohe Relevanz von Storage-Flächen im Dialog mit potenziellen Kunden schon in der Planungsphase ermittelt hat. Ausserdem gab Lyon Einblicke in die Dekarbonisierungsstrategie seines Hauses und die Herausforderungen des Klimawandels, die er – so klang bei ihm durch – als grössten Gradmesser für die Qualität heutiger Immobilienentwicklung ansieht.

Ganz ähnlich äußerte sich in diesem Punkt Urs Baumann, Chief Investment Officer der Swiss Prime Site Immobilien AG. Auch bei ihm steht das Thema Nachhaltigkeit im Vordergrund, und zwar bei allen Projekten seines Hauses. Das Anliegen verfolgt er im Verbund mit einer klaren Zertifizierungsstrategie – deren materieller Nutzen sich zwar nicht immer unmittelbar, sondern bisweilen erst nach Jahren bemerkbar mache. Da gelte es, die Bemühungen „stoisch“ weiterzuführen, auch in unruhigeren Zeiten. Baumann setzt mit SPS Immobilien auf starke ESG-Ratings und auf Langfristigkeit. Kalkuliert wird defensiv, Vorvermietungsstände geniessen hohe Bedeutung, auf resiliente Regionen und Lagen sowie flexible Nutzungen setzt man ohnehin.

Von Baupreisen, Schrott und hausgemachter Knappheit

Weder Lyon noch Baumann vermittelten den Eindruck, dass der schwierige Markt ihre Strategien gerade durcheinanderwirbelt. „Beruhigend!“ kommentierte Moderator Schmidinger deren Bekenntnis zum langfristigen Blick. In der Panel-Diskussion wurde dann aber doch die eine oder andere Veränderung ein wenig konkreter, etwa die, dass Projektpartner sich gerade bei der Verteilung von Risiken neu zusammenraufen müssen. Natürlich ging es da auch um die Baukosten und das Thema Teuerungsklauseln, worüber sich zu unterhalten Investoren und Totalunternehmer derzeit nicht umhinkommen. Interessant war beim Thema Teuerung am Bau – für viele vielleicht das drängendste Problem – die Einschätzung Hasenmailes, der es für beherrschbar hält. Er wagt die Prognose: „Der Zenit dürfte überschritten sein“. Um die mitunter verblüffende Mechanik der Baupreise zu illustrieren, gab er ein überraschendes Beispiel zum Besten: Angetrieben hatte die Preise zwischenzeitlich die Verteuerung von Bewehrungsstahl, und verantwortlich dafür war der geringere Output der deutschen Autoindustrie. Die hatte mit ihren riesigen Mengen Stahl-Ausschuss traditionell für die günstige Verfügbarkeit des Rohmaterials in der Schweiz gesorgt. Doch nicht jede Knappheit resultiert aus Krisen, ob im nahen oder fernen Ausland.

Dass auf dem Schweizer Immobilienmarkt und insbesondere auf dem Wohnungsmarkt derzeit fundamental „Knappheit regiert“, ist gemäss Hasenmaile ganz überwiegend Schuld der hiesigen Baulandverknappung. Hintergrund sei ein Paradigmenwechsel: weg von der Zersiedelung, hin zur Verdichtung. Politisch möge er ganz berechtigt sein, doch mit der Ersatzstrategie, der Verdichtung, hapere es noch.

Es gibt also auch eine Verknappung auf dem Immobilienmarkt, die hausgemacht ist, und auf diese können die Akteure vorerst sich verlassen. (aw)

Das 88. Immobiliengespräch findet am 1. November 2022 statt.

 

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