Rückblick 98. Schweizer Immobiliengespräch

In Sichtweite eines grossen Jubiläums feierten die Schweizer Immobiliengespräche noch eine Premiere: Zum ersten Mal fanden sie in Bern statt. Unter dem Titel «Wohnungskrise - wie weiter» ging es in der 98. Ausgabe um spannende Konzepte für Verdichtung und die Hoffnung, dass der Klimadruck am Ende die Wohnungsfrage voranbringt.

Schweizer Immobiliengespräche Bern
Moderator Björn Zern, Prof. Dr. Boris Szélpal (Berner Fachhochschule) und Harald Zeindl (Galledia Fachmedien AG) eröffnen die Veranstaltung

Der Schweiz geht es gut, die Zeichen stehen auf Wachstum, aber es gibt ein Problem: Dort, wo die Leute leben wollen, fehlen die Wohnungen. Die heiss diskutierte Wohnungskrise ist ein Thema, mit dem die Immobilienwirtschaft derzeit ganz im Zentrum öffentlichen Interesses steht. Kein schlechtes Thema also, um mit den Schweizer Immobiliengesprächen zum ersten Mal auch nach Bern zu gehen. Das geschah in Kooperation mit der Berner Fachhochschule und ihrem Immobilien-Dozenten Boris Szélpal, der findet: Ein Dialog in und mit der Immobilienwirtschaft gehört auch in die Bundesstadt, wo viel Spannendes passiert. Und so entspann sich auf dem Podium des Berner Casinos, in Sichtweite vom Bundeshaus, eine sehr lebhafte Diskussion, die mitunter kontrovers verlief. Ein Gedanke aber war gesetzt: An Verdichtung führt kein Weg vorbei. Dass der Platz in den Städten effizienter genutzt werden soll, steht fest. Aber wie soll Verdichtung vonstatten gehen, wie kann sie gelingen?

Die raffinierte Mischung macht’s

Die Sicht des Architekten eröffnet mitunter inspirierende Aussichten auf immobilienwirtschaftliche Fragestellungen. Andrej Bissig vom Berner Büro Von Graffenried Bissig zeigte zum Auftakt der Veranstaltung, wie der State of the Art beim Thema Verdichtung in der Baukunst derzeit aussieht. Es geht um Lebendigkeit durch Nutzungsmischung, um raffinierte Wege, ein gelingendes Zusammenleben trotz Dichte – oder gerade durch sie – zu erreichen. Bissig sprach von der Überlagerung von Nutzungen, ihre Verteilung auf verschiedene Ebenen. Dafür gibt es wegweisende Beispiele in der Schweiz, wie etwa das Zürcher Projekt Kalkbreite, das 2014 fertiggestellt wurde und sich durch ein Neben- und Übereinander unterschiedlichster Nutzungen sowie grosszügiger Gemeinschafts- und Begegnungsflächen auszeichnet. In einem viel grösseren Masstab kommt das Prinzip der Überlagerung nun auch in Bern ins Spiel, auf dem Areal Wankdorfcity 3, das unter dem Schlagwort «gestapelte Stadt» in aller Munde ist. Das ist nicht nur ein Motto, das gut tönt – die Entwürfe sehen auch aufregend aus. Konzipiert sind Nutzungsblöcke, die aufeinander getürmt und versetzt sind und durch Brücken und Passerellen miteinander verbunden. Gewohnt wird oben, unten gearbeitet und eingekauft. Platz für Begegnung findet sich in lärmgeschützten Innenhöfen – oder auf einer «Stadtterrasse» in 30 m Höhe. Viele in Bern sind gespannt, wie lebenswert sich diese Dichte am Ende anfühlen wird.

«Urbane Dörfer»: Partizipation und Re-Use

Besonders erfolgreich ist Verdichtung, argumentierte Bissig, wenn es ihr gelingt, vermeintlich weniger attraktive Wohnungsstandorte interessant zu machen. Als lobenswertes Beispiel nannte er das Projekt Melchenbühl in Gümlingen, ein kleines Wohnquartier, das an die A6 grenzen und in dem die verschiedenen Nutzungen so angeordnet sein sollen, dass für Wohnen und Begegnungszonen geradezu beschauliche Bereiche entstehen konnten. Das Projekt nennt sich also nicht zu Unrecht «urbanes Dorf», und es entsteht unter Mitwirkung einer Berner Genossenschaft gleichen Namens. Andrea Burkhalter, Mitgründerin und Co-Präsidentin von «Urbane Dörfer», durfte als nächste Referentin ihre Vision von Städtebau präsentieren. Wie ihr Vorredner legte sie grossen Wert auf die Feststellung: Nicht nur Zuwanderung in die Städte, sondern auch der immer grössere Pro-Kopf-Verbrauch an Fläche ist ein Treiber der Wohnungsknappheit. Burkhalters Konzept versteht sich auch als Antwort darauf; es sieht kompakte Wohnungen vor, die mit weniger Fläche auskommen – dafür umso mehr Zugang zu Begegnungszonen bieten. Partizipation ist gross geschrieben, auch bei der Entwicklung der Flächen, vor allem aber geht es Burkhalter um das Prinzip der Kreislaufwirtschaft. Vier Fünftel allen Mülls der Schweiz entsteht durch die Bauwirtschaft, das heisst in erster Linie: durch Abriss, und dessen Klimabilanz – Stichwort «graue Energie – kann durch noch so effiziente Neubauten kaum mehr ausgeglichen werden. Burkhalter will ein Beispiel geben, dass es auch anders geht. Eines der Vorzeigeprojekte für «Re-Use» ist das Webergut in Zollikofen, wo aus einem unansehlichen Bürobau bald ein Ort lebendigen Miteinanders werden soll.

Sachzwänge als Katalysator?

Nun könnte man der Meinung sein, dass mit dem Aspekt der Nachhaltigkeit ein zusätzliches Element in die Debatte käme; eines, das dem eigentlichen Ziel, der Wohnraum-Angebotsbeschaffung, mitunter auch zuwiderliefe. Es läge der Gedanke nahe, dass der Gesichtspunkt Ökologie die Wohnraum-Diskussion, der es ja um eine soziale Frage geht, eher komplizierter machte, als dass er sie voranbrächte. Dies ist jedenfalls nicht die Position von Markus Mettler, dem VR-Präsidenten der Halter AG. Für Mettler, der den letzten Vortrag hielt, ist das Thema «graue Energie» eng mit der Wohnungsfrage korreliert. Er äusserte nämlich interessanterweise die Hoffnung, dass der ökologische Druck das Thema Wohnen entscheidend vorwärts bringt. Die wachsenden Klima-Sachzwänge seien ein weiteres, nicht mehr abzuweisendes Argument für urbane Dichte, und auf Grundlage messbarer Werte, einschliesslich der Mobilitätsemissionen, sei eindeutig: Urbanes Leben ist mit Blick auf Ökologie die beste Option. Der Handlungsdruck aus Klima-Sicht stimmen Mettler optimistisch, dass am Ende der Widerstand gegen innerstädtische Verdichtung endlich nachlässt. Für ein Grundproblem hält er, dass Verdichtung derzeit noch unter Qualitätsvorbehalten stehe. Er sieht mitunter vorgeschobene Partikularinteressen im Spiel und findet, die Politik sollte den Marktkräften freies Spiel lassen – allerdings mit Vorgaben, wie etwa der, dass die Hälfte des zusätzlichen Wohnraums zur Kostenmiete angeboten wird. Ausserdem fordert er Zulassung von Wohnen in Arbeitszonen.

«Digitalisierung ist der Schlüssel»

In welchem Ausmass die Wiedernutzung von Bestandesbauten der Schlüssel für die Wohnungsfrage sein kann – das ist eine Frage, in der die Meinungen auf der anschliessenden Podiumsdiskussionen auseinandergingen. Mettler jedenfalls äusserte Zweifel, dass in der Schweiz auf Neubau weitgehend verzichtet werden kann. Er glaubt an emissionsärmere Baustoffe und dass das Thema Kreislaufwirtschaft auch durch industrielle Vorfabrikation nach vorne gebracht werden kann. Überhaupt setzt er grosse Hoffnung auf Technologie und digitale Arbeitsweisen. Unterstützung erfuhr er darin von Armin Vonwil, dem Interim-Chef der Immobilienentwicklung bei SBB Immobilien, der zur Podiumsdiskussion dazukam. Vorfabrikation von Bauelementen sei die Zukunft, sagte er. Und: «Die Digitalisierung der Baubranche wird am Ende der Schlüssel sein». Noch sei aber der «Leidensdruck in der Baubranche noch nicht hoch genug».

Armin Vonwil, Andrej Bissig, Björn Zern, Andrea Burkhalter und Markus Mettler

Apropos Leidensdruck: Moderator Björn Zern lenkte die Schlussdiskussion noch auf einen wichtigen Aspekt, der manchmal untergeht: Nicht überall herrscht Wohnungskrise in der Schweiz. Abseits der grossen Städte sieht die Lage anders aus. Womit sich für Zern die Frage stellt: Wäre es nicht sinnvoll, ausserhalb der grossen Zentren die Urbanität zu schaffen, die die Menschen heutzutage suchen? Das erwies sich als ein Gedanke, dem sich alle anschliessen konnten. Freilich, ohne Infrastruktur geht es nicht, aber dezentrale Gebiete seien für Verdichtung prädestiniert, fand Bissig. Und Mettler bekannte: Für sein Unternehmen sei Dezentralisierung geradezu ein Teil der Strategie geworden. Zumal in der Peripherie der politische Widerstand oft deutlich schwächer ausfalle als in Städten wie Genf oder Zürich. Auch der Genehmigungsprozess läuft dort besser, sagte Mettler, der in seinem Vortrag nicht allzu voll des Lobes über die politischen Prozesse gewesen war.

Die Debatte war also spannend, und sie hätte noch spannender sein können, wie Zern resümierte, wenn auch die Politik in der Runde vertreten gewesen wäre. Aber dazu könnte es ja beim nächsten Immobiliengespräch in Bern eine Gelegenheit geben.

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