Klimawandel: „Architektur steht vor Paradigmenwechsel“
Wegen des Klimawandels werden Gebäude in der Schweiz künftig im Winter weniger geheizt, im Sommer hingegen stärker gekühlt werden müssen. Forscher des Instituts für Gebäudetechnik und Energie der Hochschule Luzern untersuchten, was das für die Bauwirtschaft bedeutet.
Eine Studie der Hochschule Luzern zeigt auf, mit welchen Temperaturen wir wegen der Temperaturzunahme durch den Klimawandel in Wohnbauten künftig rechnen müssen. Erforscht wurde ausserdem, wie sich die Hitze in den Räumen möglichst klimaschonend reduzieren lässt. «Insbesondere in den Städten sind innovative Ansätze gefragt. Hier werden die Temperaturen im Sommer vor allem aufgrund der versiegelten Böden noch stärker steigen», sagt Gianrico Settembrini, Forschungsgruppenleiter am Institut für Gebäudetechnik und Energie der Hochschule Luzern, das die Studie im Auftrag der Bundesämter für Energie und Umwelt durchgeführt hat.
Das Team der Hochschule Luzern hat in Zusammenarbeit mit Meteo Schweiz ein Zukunftsszenario simuliert, das aufzeigt, wie sich die Raumtemperaturen von vier real existierenden Gebäuden – zwei Neu- und zwei Altbauten in Lugano und in Basel – entwickeln werden, und wie sich dies auf ihren Energiebedarf auswirkt.
Für ein Referenzgebäude «neuer Massivbau nach Minergiestandard» in der Deutschschweiz zeigen die Berechnungen im durchschnittlich warmen Jahr 2004 insgesamt 27 Überhitzungsstunden. Für das Jahr 2068 werden dagegen bereits rund 900 Stunden Überhitzungsstunden prognostiziert. Im Tessin käme es in einem solchen Gebäude im Jahr 2068 sogar zu 1.400 Überhitzungsstunden. Als «überhitzt» gilt ein Gebäude während des Sommerhalbjahres dann, wenn im Innenraum mehr als 26,5 Grad herrschen.
In der Regel überhitzen Altbauten weniger stark, vor allem weil sie kleinere Fenster haben. Jedoch sind sie schlechter gegen Kälte isoliert und offenbaren ihre Nachteile somit in den Wintermonaten.
Entscheidend ist die Kühlung
«Die Architektur steht jetzt vor einem Paradigmenwechsel», sagt Settembrini. «Der Schutz gegen Kälte ist nach wie vor wichtig. Aber unsere Daten zeigen, dass sich der Bedarf an Heizwärme in Zukunft um 20 bis 30 Prozent reduzieren wird.» Entscheidend für die Planung behaglicher Wohnhäuser werde in Zukunft die Kühlung sein.
Die Studienautoren betonen in diesem Zusammenhang die zentrale Rolle einer sorgfältigen Gebäudeplanung: Mit optimalem Sonnenschutz und genügender Nachtauskühlung seien behagliche Innenraumtemperaturen auch ohne Klimaanlage erreichbar, schreiben sie. Eine Schlüsselfunktion habe dabei der Fensteranteil in Gebäuden. «Das bedeutet nicht, dass wir wieder in dunklen Wohnungen mit kleinen Fenstern leben müssen», sagt Settembrini. «Grosse Fenster an der Südfassade sind – zumindest im Mittelland – auch in Zukunft empfehlenswert.»
Architekten müssen Fensterfronten künftig so konzipieren, dass die flach stehende Wintersonne ins Gebäude gelangt, während die hochstehende, intensive Sommersonne abgeschirmt wird. Zudem müssten sie von Anfang an Beschattungssysteme in die Planung einbeziehen.
Der Wärmedurchlass nach innen und nach aussen sollte jeweils dem Standort des Gebäudes angepasst sein, und zusätzlich könnte eine starke Erwärmung der Räume auch mit innovativen Kühlsystemen abgefedert werden, sagt Settembrini. Ein Beispiel sei das «Geocooling». Dabei führt das Wärmeverteilsystem des Gebäudes, beispielsweise die Bodenheizung, in den Sommermonaten die Wärme aus den Wohnräumen ab, leitet sie über eine Wärmepumpe ins Erdreich und speichert sie dort. Im Winter funktioniert das System umgekehrt: Fie Wärmepumpe nutzt die im Erdreich gespeicherte Wärmeenergie für die Heizung des Gebäudes.